Zielsetzungen für den jüdischen Friedhof in Wiener Neustadt

Was ist AKJF?

Die „Aktion Kulturdenkmal Jüdischer Friedhof“ ist eine Initiative, die 2007 ins Leben gerufen wurde und zum Ziel hat, den jüdischen Friedhof von Wiener Neustadt als „Lern- und Gedächtnisort“ zu etablieren.

Warum AKJF?

Die jüdische Gemeinde von Wiener Neustadt war eine der ältesten und bedeutendsten im mittelalterlichen Österreich. Einzelne erhaltene und außergewöhnliche Grabsteine verweisen auf ihre besondere Geschichte. Weiters war sie vor 1938 die drittgrößte Kultusgemeinde Niederösterreichs (ohne Wien). In der Stadt Wiener Neustadt lebte die vierthöchste Anzahl von Juden in Österreich (nach Wien, Graz und Baden). In Folge der Vernichtung der jüdischen Gemeinde durch die Shoa kam es nach 1945 zu keiner Wiedererrichtung der IKG. Der jüdische Friedhof in der Wiener Straße ist heute das einzige klar sichtbare Zeichen jüdischer Präsenz im 20. Jahrhundert und insofern von historisch-kulturellem Stellenwert. Er ist unter anderem auch deshalb unter Denkmalschutz gestellt worden und wird seit 1982 seitens der Stadtgemeinde gepflegt.

Auf Grund mehrerer Faktoren muss die dauerhafte Pflege dieses städtischen Kulturdenkmals sichergestellt werden:

  • Der jüdische Friedhof wurde aus guten Gründen von den politisch Verantwortlichen unseres Landes unter Denkmalschutz gestellt, weshalb nicht nur die gesetzliche, sondern auch die moralische Verpflichtung besteht, dieses Kulturgut entsprechend zu erhalten.
  • Im Bewusstsein dessen, dass es wegen der Shoa kaum Überlebende gibt, deren Vorfahren auf dem Friedhof bestattet sind, und dass keine finanziellen Mittel von den wenigen vereinzelten Nachkommen (dritte Generation) für das gesamte Areal aufgebracht, geschweige denn eingefordert werden können, muss von öffentlicher Seite agiert werden.
  • Nach jüdischem Glauben und den Vorschriften der Halacha müssen ein jüdisches Grab und ein jüdischer Friedhof auf ewige Zeit bestehen bleiben. In Respekt gegenüber der Halacha und den verstorbenen und dort begrabenen Menschen muss dieser Ort bewahrt werden.
  • In Hinblick auf die historische Größe und Bedeutung der Kultusgemeinde müssen im Sinne einer historischen und politischen Informiertheit der Allgemeinheit (Geschichtsbewusstsein & Identität) entsprechende Kenntnisse über die Stadtgeschichte bei den Einwohnern der Stadt und der Region gegeben sein.

Die Initiative AKJF-WN verbindet demnach folgende Aspekte:

  • Die Begegnung mit der regionalen Zeitgeschichte (im Speziellen mit der Stadtgeschichte von Wiener Neustadt)
  • Das Lernen über jüdische Geschichte und Kultur
  • Die Vernetzung von Geschichte und politischer (Identitäts-)Bildung
  • Das aktive Engagement im Bereich der Denkmalpflege in Wiener Neustadt

Zielsetzungen & Vision

Die Vision ist die Zusammenarbeit der Stadtgemeinde Wiener Neustadt, der Kultusgemeinde und der Interessensgruppe (AKJF-WN) hinsichtlich der Erhaltung und Betreuung des jüdischen Friedhofes von Wiener Neustadt. Der jüdische Friedhof könnte jetzt und in Zukunft ein „Ort des Erinnerns“ und „Ort des Lernens“ sein, da er die einzige heute noch erhaltene Stätte jüdischer Kultur ist.

Es sollen demnach mehrere Ziele erreicht werden:

  • Erhaltung und Verbesserung des gegenwärtigen Pflegezustandes des jüdischen Friedhofs der Stadt Wiener Neustadt – auf Basis des Status vom „Aktionstag“ 2007 – mittels:
    • der Intensivierung der Pflegearbeiten durch die Stadtgemeinde (dreimal jährlich)
    • vielleicht in Form eines jährlichen „Aktionstages“ (Schul-Netzwerk, Freiwilligen-Aktionen o. Ä.) als aktiver Beitrag zur Erhaltung des Kulturdenkmals
    • rasche Durchführung von ersten dringenden Sanierungsmaßnahmen, insbesondere dort, wo bereits Gefahr in Verzug ist (Einfriedungsmauer, Baumbestand, Schimmel- und Feuchtigkeitsschäden an Gebäuden)
    • Durchführung von Sanierungsmaßnahmen (vgl. Sulzgruber, Werner: Zustands-, Pflege- und Sanierungsbericht über den jüdischen Friedhof Wiener Neustadt. – Wr. Neustadt April 2008)
  • Kompensation der Informationsdefizite im Kontext mit der Stadtgeschichte und der Geschichte dieses Ortes:
    • Produktion von diversen Publikationen (Medien, Informationsmaterial) auf wissenschaftlicher Grundlage (Bestandsaufnahmen, historische Dokumentation etc. – in Arbeit: Forschungsprojekt „Stadtführer durch das jüdische Wiener Neustadt“ von W. Sulzgruber)
    • Wissensvermittlung (Vorträge, Exkursionen u. a.) im Bereich der Regional- und Stadtgeschichte von Wiener Neustadt & Beitrag zur Identitätsbildung (jüdische Geschichte der Stadt WN und besonderer Orte in WN) (bereits laufend, z. B. März, Mai, September, November 2008: Vortragender W. Sulzgruber)
    • Forcieren von Aspekten in spezifischen Unterrichtsgegenständen (Geschichte, Politische Bildung, Religion) im Kontext mit dem unmittelbaren Lebensumfeld – auf der Grundlage der beiden erstgenannten Unterpunkte
  • Aufstellung der fünf wiederentdeckten mittelalterlichen Grabsteine:
    • Renovierung (nach erfolgter Vereinbarung zwischen der Stadtgemeinde Wiener Neustadt [Hr. Dir. Koppensteiner, Referatsleiter MA 9], der Israelitischen Kultusgemeinde Wien [Mag. Fastenbauer, MMag. Schärf] und dem Bundesdenkmalamt [DI Dr. Schicht, verantwortlich für NÖ])
    • Geschützte und sichere Positionierung auf dem Areal des jüdischen Friedhofes von Wiener Neustadt (zum Beispiel in folgender Ausführung: Betonsockelbasis, Betonwand, Fixierung, Dachkonstruktion, Eindeckung)
    • Transkription der hebräischen Texte
    • Aufstellung von Übersetzungen bei den Grabsteinen (als Orientierung für Besucher)
  • Einrichtung einer Lern- und Gedenkstätte am jüdischen Friedhof von Wiener Neustadt in Konsequenz der Punkte 1, 2 und 3:
    • Vermittlung von kulturhistorischen und zeitgeschichtlichen Inhalten vor Ort
    • Bereitstellung von Informationen via Homepage (für die Stadtbevölkerung, Schüler, kulturhistorisch Interessierte, Nachkommen etc.)
    • Angebot von Führungen durch das „jüdische Wiener Neustadt“ und auf dem jüdischen Friedhof
    • Bildung einer erweiterten Plattform AKJF (Ansprechpartnern, Beratung) mit Vertretern der Stadtgemeinde, der IKG, Historikern, Experten, Lehrern eines aufzubauenden Schul-Netzwerks und Sponsoren

Der Umgang mit Geschichte charakterisiert eine Gesellschaft. Die jüdische Geschichte ist ein zentraler Bestandteil der Stadtgeschichte von Wiener Neustadt, was Wiener Neustadt von vielen anderen Städten unterscheidet und in die Reihe von einigen wenigen Kulturstädten Österreichs, wie zum Beispiel Wien, Baden und Krems stellt.
Da die jüdische Gemeinde in Wiener Neustadt sowohl im Mittelalter als auch im 20. Jahrhundert bedeutend war, darf sie als Element der Stadtgeschichte nicht vergessen, sondern muss endlich mehr positioniert werden. Auch wenn dieser Teil der Stadtgeschichte mit Vertreibung und Vernichtung verbunden ist, also sowohl im Spätmittelalter (Stichwort: Maximilian I.) als auch 1938 (Stichwort: Nationalsozialismus) eine violente, „dunkle“ Seite derselben zeigt, so ist dieser Teil der Stadtgeschichte dennoch ein unumgängliches Beispiel in der Vermittlung von Geschichte und für das Lernen aus der Geschichte.
Aufgrund der besonderen Geschichte der Stadt Wiener Neustadt kann auch hier – neben anderen traditionellen Themenbereichen (Stadtgründung, Habsburgerresidenz, Bischofssitz, Militärakademie, Flugwesen, Industriestadt etc.) – im wahrsten Sinne des Wortes „Geschichte geschrieben“ werden.
So wie in manch anderer Stadt in Österreich (vor allem in Wien) gilt es zweifellos auch in Wiener Neustadt die sprichwörtlichen „blinden Flecken“ zu reduzieren. Mit entsprechendem Stellenwert könnte Wiener Neustadt alsbald zu jenen Städten Österreichs gezählt werden, die einen „Lern- und Gedächtnisort“ eingerichtet haben und Vermittlungsprozesse – primär im zeitgeschichtlichen Kontext – durchführen, was nicht nur jeglichen Vorwurf der Tabuisierung zeitgeschichtlicher Forschungsaspekte und Passivität hinsichtlich der Aufklärung entkräftet, sondern kulturhistorisch notwendig, pädagogisch sinnvoll und letztlich wiederum beispielhaft wäre.

Aktualität

Das Jahr 2008 hat hinsichtlich spezifischer Themen für die österreichischen Staatsbürger besondere Bedeutung und sollte schon deshalb Anlass dafür geben, entsprechend des demokratiepolitischen Auftrages, die Gesellschaft aufzuklären, zu agieren. Das Jahr 2008 ist unter anderem:

  • Das „Gedenkjahr 2008“
  • Das „Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs“

Entsprechende Medienbeiträge (Dokumentationen, Zeitzeugenberichte, Sondernachdrucke etc.) und Bildungsaktivitäten (Vorträge, Ausstellungen, Publikationen etc.) sind gegeben, allesamt mit dem Ziel zu informieren, aufzuklären und politisch zu bilden.
Insbesondere im Bildungsbereich wird die politische Bildung zurzeit massiv forciert und die Einbindung von Lern- und Gedenkstätten eingefordert. vgl. z. B. Aktionstage für politische Bildung (23. April 2008 – 9. Mai 2008)

Kontakt

Prof. Mag. Dr. Werner Sulzgruber
Historiker und Initiator der AKJF-WN
BRG Gröhrmühlgasse 27
2700 Wiener Neustadt
su@brgg.at